„Kulturschock – (beim unmittelbaren Kontakt mit einer fremden Kultur) schreckhaftes Erleben der Andersartigkeit der durch die fremde Kultur erlebbaren Realität“, so lautet die Definition des Dudens.

Das mag drastisch klingen und so gar nicht angenehm. Doch Kulturschock muss dich nicht immer in seiner ganzen Härte treffen. Manchmal spürst du ihn eher unterschwellig oder im Vorbeigehen. Andere Male trifft er dich härter und versetzt dich wirklich in einen Schockzustand. Lass uns mal an einem Beispiel für Kulturschock festmachen, wie er sich tatsächlich auswirken kann und vor allem wie du damit umgehen kannst. Ich habe dir dazu meine Reisegedanken gesammelt – während meiner Reise in Nicaragua und kurz darauf nach meiner Rückkehr nach Kanada, wo ich die Monate davor verbracht habe.

Vor dem Kulturschock (ist nach dem Kulturschock)

Sonnenaufgang hinter den Bergen in Nicaragua

Ich schreibe diese Zeilen am frühen Morgen in Nicaragua. Ich sitze mitten im Grünen auf einer mit zerbrochenen Keramikfliesen verzierten Betonbank. Vor mir im Tal blicke ich auf einen großen Kratersee, auf dem Landstreifen dahinter liegend erscheinen die Lichter der nächstgrößeren Stadt. Hinter den Bergen zu meiner Rechten geht in ein paar Minuten die Sonne auf. Die Wolken darüber sind bereits rosa gefärbt und erscheinen wie Zuckerwatte. Unter ihnen machen sich die ersten Lichtstrahlen des großen tieforangenen Feuerballs bemerkbar. Von allen Richtungen her ertönt Hahnengekrähe, durchbrochen von zackigem Vogelgezwitscher. Es ist so ruhig und doch so belebt. Ich könnte mir keinen idyllerischen Morgen vorstellen.

Was ich hier mache? Mich besinnen. Zu mir finden und eine Auszeit in der Natur genießen. Dem Alltagsstress, der Konsum- und Leistungsgesellschaft entkommen. Mir Zeit für meine Gedanken und Lebensziele nehmen. Einen Gang herunterfahren und überdenken, womit ich mich tagtäglich beschäftige und ob dies das Richtige ist. Wenn ich dies mit meinen Routinen zuvor vergleiche, möchte ich nicht mehr zurück.

3 Wochen später… Kulturschock pur

Zurück in Kanada und völlig überfordert und desillusioniert. Ich fühle mich eingeschränkt hier. Eingeschränkt vom Klima, von den weiten Entfernungen, von der Städtestruktur, von meinem Inneren selbst. Es ist ein freies Land, doch ich habe das Gefühl, ich büße meine Freiheit hier ein. Ich fühle mich gefangen und es raubt mir den Verstand. Zurückkommen war ein größerer Schock als ich gedacht hatte. Dabei haben mich andere Dinge aus dem Gleichgewicht gebracht, als ich angenommen hätte. Ich war vollkommen überrascht von der Stille und Sanftheit hier. Schon beim Zwischenstopp in den USA habe ich das zu spüren bekommen. Ins Taxi am Flughafen gestiegen und raus in eine gänzlich andere Welt. Ultrakomfort, eine unsägliche Stille und solch sanfte Straßen und Autos, dass ich es kaum glauben konnte. Es fühlte sich so falsch und doch so schön an in dem Moment. Doch trotzdem wollte ich zurück.

Es war schön wieder in einem gemütlichen Bett zu liegen, sich auf einer Couch einzukuscheln und in aller Ruhe durchzuschlafen. Nicht von juckenden Mückenstichen in den Wahnsinn getrieben zu werden. Nicht von dem Hämmern eines Vogels an der Fensterscheibe aufgeweckt zu werden. Nicht mit dem Hahnengekrähe in aller Früh aufzustehen. Erst hier habe ich realisiert, wie laut es doch auf dem Land in Nicaragua war. Ganz unerwartet überkam mich die Stille und hat mich aus der Bahn geworfen. Ich habe nicht verstanden, wie ich absolut gar nichts mehr hörte. Nicht nachts beim Schlafen, nicht beim Spazieren auf der Straße, nicht beim Autofahren. Kein Gehupe, kein Geschrei, kein Gesinge, keine Tiere, nichts. Die Welt scheint ausgestorben oder jeder ist für sich.

Fahrradtour am See in Kanada
Draußen erscheint es mir fast noch ruhiger als drinnen

Unterschiede zwischen Nord- und Mittelamerika

Ich vermisse es, mit dem Sonnenaufgang aufzustehen und direkt vor die Tür zu gehen. Ich vermisse es, meinen Morgen in der puren Natur zu starten und nur für mich inmitten des Wildlebens zu sein. Ich vermisse die Geräuschkulisse, die Wärme und die mir nun vertraute Umgebung. Mir taten die physischen Aktivitäten gut: Wäsche per Hand waschen, Obst pflücken, Kokosnüsse mit dem kleinen Küchenmesser zerhacken, frische Orangen auspressen, Einkäufe durch die ganze Stadt tragen, keinen Komfort eines Autos haben… Was mir zu manchen Zeiten noch als kleine Laster erschienen und mich nach mehr Komfort haben sehnen lassen, bedaure ich nun. Ja, es tut gut, saubere Wäsche aus der Waschmaschine zu holen oder mit dem Auto schnell einkaufen zu fahren. Es ist schön, 3-lagiges anstatt 1-lagiges Toilettenpapier zu haben. Es tut gut, nicht von Mücken zerstochen zu werden oder Tag und Nacht von der Hitze geplagt zu werden.

Doch was sind all diese Kleinigkeiten, wenn man dafür seine Freude einbüßt. Es mag Dinge geben, die einem das Leben erleichtern. Doch sind das tatsächlich die Dinge, die das Leben lebenswerter machen? Sind es nicht eher das strahlende Lächeln der Menschen, die einem Dank und Freude zeigen? Sind es nicht die wundervollen Sonnenstunden, die einen bis ins Innere erwärmen? Sind es nicht die Freiheiten, die uns unsere Zeit so einteilen lassen, wie wir sie nutzen wollen? Ja, dafür möchte ich leben. Ich möchte mich von den Menschen um mich herum, von ihrer Herzlichkeit und Dankbarkeit anstecken lassen. Ich möchte mit meinem Herzen leben und das genauso spüren. Ich möchte frei in meinem Machen und Tun sein und mich von nichts und niemandem einschränken lassen. Am allerwenigsten von mir selbst und meinen Gedanken.

1 Woche später… Immer noch Kulturschock

Ich bin seit einer Woche zurück in Kanada und die Umgewöhnung fällt mir schwieriger als gedacht. Dabei war ich nur einen Monat lang weg. Doch wie ich merke, kommt es nicht darauf an, wie lange man verreist, sondern wie. Es kommt darauf an, wie sehr man in seine Reisewelt integriert ist und wie man das Leben im Ausland angeht. Fährst du für 2 Wochen in ein Strandresort und verbringst 12 von 14 Tagen am Strand, wird es dir anders gehen. Klar, die Eingewöhnung zurück in den Arbeitsalltag ist hart, doch oft ist man schneller wieder in seiner Routine zurück als gewollt.

Mir geht es dieses Mal anders. Es kostet mich Kraft und Mühe, mich wieder an die kanadischen Strukturen zu gewöhnen. (Man beachte, dass ich kaum in die Landesstrukturen integriert bin.) Ich habe keinen 9-5 Job. Ich habe kein Auto oder sonstige Verpflichtungen. Ich habe keine Termine selbst im Land. Mein Leben und meine Arbeit finden online statt, daher auch aus aller Welt.

Kleines Amphitheater in Kanada
Mein Leben in Kanada ist halb Alltagsroutine und halb Erkundungstouren

Was ich eigentlich sagen möchte: Kommst du so richtig in deinem Reiseland an und integrierst dich in das Alltagsleben, macht schon ein kurzer Urlaub sehr viel mehr mit dir. 4 Wochen in Nicaragua haben sich für mich angefühlt wie mehrere Monate. Gefühlsmäßig bin ich richtig angekommen, habe das Land und seine Bewohner intensiv kennengelernt und das Leben dort verstanden. Vielmehr habe ich es mitgelebt und nicht nur nebenher. Ich war mittendrin und genauso emotional involviert. So möchte ich reisen. Mir ist es wichtig, genau diese Erfahrungen zu sammeln und Gefühle zu entwickeln. Ich möchte mich in einem Land angekommen fühlen und Teil von ihm werden – nicht nur als Tourist, der alle Sehenswürdigkeit abläuft.

Kulturschock nach der Rückkehr?

Vielen Reisenden geht es ähnlich. Du wirst schon von dem gewöhnlichen Kulturschock gehört haben, wenn man in einem fremden Land ankommt. Alles ist fremd und neu. Du musst dich erstmal zurechtfinden und dir einen Überblick über die Kultur und die Landesstrukturen verschaffen. Wie ticken die Menschen? Wie fließt der Verkehr? Wie bezahle ich im Supermarkt? Worauf muss ich verzichten und was entdecke ich neu? Fragen über Fragen, Eindrücke über Eindrücke. Ein neues Reiseland aufzunehmen, gleicht einem Gefühlschaos. Mal mehr, mal weniger. Sind die Unterschiede zu deinem Heimatland größer, ist es noch schwieriger. Ist die Kultur relativ ähnlich, wirst du dich schneller umgewöhnen.

Äpfel pflücken auf kanadischer Farm
Sobald ich Äpfel finde, legt sich der Kulturschock direkt

Doch wie sieht es jetzt mit dem Kulturschock andersherum aus? Ist es normal, vor einem wahren Kulturschock nach der Rückkehr in seine Heimat zu stehen? Glaub mir: JA! Es wird viel weniger davon berichtet, aber es ist genauso gewöhnlich wie der umgekehrte Fall. Wie auch nicht? Gerade wenn du länger verreist oder von einem Auslandsjahr zurückkehrst, wirst du dich an eine andere Lebensweise gewöhnt haben. Wirst du dann zurück in deine alten Strukturen geschmissen, verläuft das nicht immer reibungslos. Du hast schließlich vielzählige Erfahrungen im Gepäck und hast so viel Neues gesehen. Sich an die alten Dinge anzupassen, aus denen man vielleicht herausgewachsen ist, ist schwer. Sicherlich bist du schon aus deiner Lieblingshose aus der Kindheit herausgewachsen. Versuchst du dich dort wieder hineinzuzwingen, reißen entweder die Nähte, du stehst im Hochwasser oder scheiterst von vornherein. So ähnlich verhält es sich mit dem Reisen und der Rückkehr.

Was tun gegen Kulturschock?

Durchläufst du gerade genau diese Phase, dürftest du schon gemerkt haben, dass es an einem (umgekehrten) Kulturschock liegt. Doch was hilft nun dagegen? Gibt es ein universelles Heilmittel? Denn schön fühlt es sich in den meisten Fällen nicht an. Normalerweise gibt es ein paar Dinge, die du wieder schätzen und über die du dich freuen wirst. Doch oft sind es die Umstellung des Alltags und der Umgebung, die einem die Freude und Zufriedenheit einbüßen können.

Nimm dir Zeit

Zeit heilt alle Wunden – so sagt man. Wenn ich dir einen Tipp geben kann, dann: Lass dich nicht stressen. Deine Gefühle werden sich mit der Zeit beruhigen. Es braucht ein paar Tage (oder Wochen) bis du dich wieder umgewöhnt hast. Genauso wie am Anfang deiner Reise oder bei der Ankunft in einem neuen Reiseland. Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig, wenn er will. Aber eben nicht von heute auf morgen. Bleib ruhig und gelassen, dann kommt der Rest von selbst. Hinterfrag dich nicht zu viel, wieso du so fühlst wie du es tust. Es ist ganz normal und berechtigt. Mit einem positiven Mindset kommst du schneller aus diesem Tief heraus, als wenn du dich daran abnagst.

Finde neue Routinen

Routinen können Feind und Freund zugleich sein. Auf Reisen ist das Leben zumeist von Flexibilität und Freiheit geprägt. Routinen sind schwierig oder gar unmöglich aufrechtzuerhalten (je nach Reisestil). Zwischendurch kann es durchaus wohltuend sein, wieder Routinen aufzubauen. Das hilft auch, den Kulturschock zu überwinden. Anfangs magst du dich noch von ihnen eingeschränkt fühlen, da es sich so anfühlt, als würden sie dich deiner Freiheit berauben. Routinen brauchen Zeit, sich zu festigen. Nach ein paar Tagen wirst du dich ihnen dankbarer widmen und den Widerwillen Stück für Stück ablegen.

Finde andere kulturelle Aktivitäten

Bist du einem Kulturschock ausgesetzt, liegt es an der Veränderung der Kulturen. Um dem entgegenzuwirken, kannst du dir kulturelle Aktivitäten suchen. Bist du im Ausland unterwegs, suche nach Dingen, die dich an deine Heimat erinnern und dir vertraut sind. Ich halte gerne Ausschau nach (deutschen) Bäckereien, bekannten Lebensmitteln oder vertrauten Landschaftsstrichen. Findest du ein Stück deiner eigenen Kultur in der Ferne, wird es sich weniger fremd anfühlen und den Kulturschock abklingen lassen.

Einkauf auf dem Farmers‘ Market in Kanada
Ein Marktbesuch mit frischem Brot vertreibt Kummer und Sorgen

Kommst du von einer Reise zurück, wird dir in den ersten Wochen vermutlich der Verlust von Kultur zu schaffen machen. Erinnere dich daran zurück, was du in der Welt kennenlernen durftest und was dir besonders gefallen hat. Warst du vom Salsa in Lateinamerika angetan, schaue nach einem Tanzkurs oder Tanzevent in deiner Umgebung. Verbindest du deine Reiseerfahrungen mit exotischen Geschmäckern, suche nach einem Restaurant oder Supermarkt deiner Reiseregion. Gefühle gehen durch den Magen, nicht wahr? Ein Besuch beim Vietnamesen, bringt dich ganz schnell zurück in die kleine Suppenküche im vietnamesischen Stadtverkehr. Nicht selten kommst du auch wieder in Kontakt mit Menschen aus genau dieser Region. Bleib also offen für andere Kulturen, auch wenn du wieder zurück in deiner vertrauten Umgebung bist.

Bleib nicht allein

Wie du gemerkt haben wirst: Du bist nicht allein. Tausche dich mit anderen Reisenden oder deinen Freunden zu Hause aus. Es hilft zu wissen, dass man nicht allein mit seinen Gefühlen und Gedanken ist. Finde Anschluss, bevor du in deiner eigenen Gedankenwelt untertauchst. Behalte auch Verhaltensmuster deiner vorherigen Reisen bei. Fällt es dir auf Reisen einfacher, auf Leute zuzugehen und deine Komfortzone zu verlassen? Vermutlich schon, denn dafür reisen wir schließlich. Warum damit Zuhause stoppen? Nur weil du woanders bist, musst du nicht alles verändern und deinen Lebensstil komplett umstellen. Ist es nicht umso schöner, wenn wir mehr von unseren Reisen im Alltag einbringen und beibehalten können? Die eigene Komfortzone zu verlassen ist auch daheim unheimlich bereichernd, sobald man sich einen Ruck gibt. Worauf wartest du noch?

Fazit zum Kulturschock

Kulturschock – positiv oder negativ? Manchmal vielleicht sogar beides. Es bedeutet, dass du dich getraut hast und in die weite Welt hinausgehst. Du bist offen für neue Kulturen und erkundest die Fremde, auch wenn dich das ab und zu vor Herausforderungen stellt. Negativ können die Gefühle trotzdem sein, gerade wenn ein großer Wandel bevorsteht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wenn sich alles um dich herum verändert und du selbst auch noch Veränderungen durchmachst, ist das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Denke immer daran, dass du damit nicht allein bist und deine Reaktionen vollkommen berechtigt sind. Lass dich von einem Kulturschock nicht aus der Ruhe bringen – egal ob im Ausland oder zurück daheim. Mit der Zeit wird es abflachen. Und falls nicht, schmiede wieder neue Reisepläne. 😉

In welcher Phase befindest du dich gerade? Stehst du vor einem Kulturschock in einer dir noch fremden Kultur oder überrumpelt dich der umgekehrte Kulturschock nach deiner Rückkehr? Wie gehst du damit um und was hat dir bisher geholfen? Teile deine Erfahrungen gerne unten in den Kommentaren, ganz nach meinem letzten Tipp. Austausch mit Gleichgesinnten ist nicht zu unterschätzen.

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